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Die Seuche aus der Hühnerfabrik
von Ludger Wess
Zugvögel und Hinterhof-Hühnerställe tragen wenig zur Ausbreitung von
H5N1 bei. Der Handel mit Abfall und verseuchten Produkten der
Geflügelindustrie verbreitet das Virus.
Ein Fest für jeden Krankheitserreger: Der sorglose Umgang mit Abfällen
und infizierten Produkten aus der Geflügelzucht sorgt für die
Verbreitung der Vogelgrippe
Die toten Schwäne sorgen für ein verzerrtes Bild. Nicht Wildtiere,
sondern Abfall und verseuchte Produkte der Geflügelindustrie sind nach
aktuellen Analysen der wichtigste Verbreitungweg für das gefährliche
Virus H5N1.
Der Weg der Seuche in den vergangenen Monaten legt diese
Schlussfolgerung nahe. Bereits für den Vogelzug im Herbst in Richtung
Süden war eine Ausbreitung der Seuche angekündigt worden, aber H5N1 trat
in diesem Winter weder in Süd- und Südostasien noch in Afrika,
Australien oder Japan auf.
Die Ausbrüche in Nigeria, Ägypten, Indien und der Türkei waren samt und
sonders von Geflügelzuchtbetrieben ausgelöst worden, die infizierte
Vögel oder Futter eingeführt hatten, glaubt Birdlife International, die
Dachorganisation von Vogelschutzverbänden aus über 100 Ländern. "Die
wahrscheinlichste Erklärung dafür ist, dass Zugvögel gar nichts zur
Ausbreitung der Seuche beitragen", sagt Michael Rands, der Leiter von
Birdlife International. "Wildvögel stecken sich an infiziertem Geflügel
an, nicht umgekehrt."
Rands verweist auf die ausgebliebenen Ausbrüche in Afrika und entlang
der Vogelzugrouten und darauf, dass in diesem Winter bis zum Februar bei
weltweit über 100.000 untersuchten Wildvögeln nur in einer verschwindend
geringen Zahl von Vögeln H5N1 gefunden wurde.
Hühnerkot für Fischfarmen
Für die Einwanderung von infizierten Wasservögeln aus Osteuropa nach
Norddeutschland hat Birdlife eine einfache Erklärung: Fischfarmen in
Russland, China und verschiedenen osteuropäischen Ländern verwenden
nicht sterilisierte Abfallstoffe aus Geflügelfarmen, darunter Hühnerkot,
als Fischfutter, und Landwirte benutzen es als Dünger - eine Praxis, die
die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen
(FAO) als "hoch riskante Produktionsweise" bezeichnet.
Dabei ist längst bekannt, so die Weltgesundheitsorganisation WHO, dass
H5N1 in Geflügelkot bis zu 35 Tage überdauern kann. Birdlife weist auch
darauf hin, dass die meisten Ausbrüche in Südostasien auf den Handel mit
Geflügel und Geflügelprodukten oder auf verunreinigtes Material aus
Großzuchten zurückzuführen sind.
Zu diesem Schluss kommen auch genetische Studien. Im letzten Jahr
gelangte ein Team aus amerikanischen, chinesischen und vietnamesischen
Forschern nach einer Analyse der Abstammung verschiedener Virustypen zu
dem Ergebnis, dass offenbar der Transport von Geflügel für die
Verbreitung des Virus von China aus gesorgt hat. Auch der FAO ist längst
bekannt, dass H5N1 wie jedes andere Virus in Wildvögeln ebenso wie in
frei laufendem Geflügel seine Virulenz verliert - eine Frage der
Anpassung: Wirt und Virus profitieren davon, miteinander länger zu
leben.
Hauptfaktoren bei der Verbreitung von H5N1
Legal und illegal werden pro Jahr Abermillionen von Küken und Bruteiern
exportiert. Allein die größte Fabrik in der Türkei hat eine Kapazität
von mehr als 100 Millionen Bruteiern pro Jahr, die unter anderem nach
Osteuropa und in den Mittleren Osten verkauft werden. Illegal sind es
vermutlich noch viel mehr. Und immer wieder wird auch Geflügelfleisch
aus China illegal gehandelt. In Großbritannien etwa mussten die Behörden
Ende 2005 feststellen, dass vermutlich mehrere Hundert Tonnen
Geflügelfleisch aus China eingeschmuggelt und mit gefälschten Etiketten
versehen im ganzen Land verkauft worden waren.
Der weltweit kaum kontrollierte Handel mit Geflügel und
Geflügelprodukten sowie der sorglose Umgang mit den Massen an Abfall und
Kot aus Geflügelfarmen sind die Hauptfaktoren bei der Verbreitung von
H5N1. Zu diesem Schluss kommt auch die kanadische Organisation Grain,
die sich um die genetische Diversität von Nutzpflanzen und -tieren
kümmert.
Grain schreibt in einem aktuellen Report zur Vogelgrippe, dass
"Regierungen und internationale Behörden, die von falschen Annahmen über
Ausbreitung und Vermehrung der Erkrankung ausgehend, fatalerweise
Maßnahmen ergreifen, die der weiteren Industrialisierung der
Geflügelhaltung auf der ganzen Welt Vorschub leisten". Statt einer
Lösung droht damit aber eine Verschärfung des Problems.
Virenspuren
Vogelrouten können die Ausbreitung von H5N1 nach Nigeria, Ägypten und
Europa nicht erklären.
Genanalysen des Erregers legen nahe, dass Geflügeltransporte die Seuche
aus China heraus verbreitet haben.
Quelle: FTD vom 03.03.2006
http://www.ftd.de/forschung/53222.html
Financial Times Deutschland, 03. März 2006
Die Seuche aus der Hühnerfabrik
von Ludger Wess
Zugvögel und Hinterhof-Hühnerställe tragen wenig zur Ausbreitung von
H5N1 bei. Der Handel mit Abfall und verseuchten Produkten der
Geflügelindustrie verbreitet das Virus.
Ein Fest für jeden Krankheitserreger: Der sorglose Umgang mit Abfällen
und infizierten Produkten aus der Geflügelzucht sorgt für die
Verbreitung der Vogelgrippe
Die toten Schwäne sorgen für ein verzerrtes Bild. Nicht Wildtiere,
sondern Abfall und verseuchte Produkte der Geflügelindustrie sind nach
aktuellen Analysen der wichtigste Verbreitungweg für das gefährliche
Virus H5N1.
Der Weg der Seuche in den vergangenen Monaten legt diese
Schlussfolgerung nahe. Bereits für den Vogelzug im Herbst in Richtung
Süden war eine Ausbreitung der Seuche angekündigt worden, aber H5N1 trat
in diesem Winter weder in Süd- und Südostasien noch in Afrika,
Australien oder Japan auf.
Die Ausbrüche in Nigeria, Ägypten, Indien und der Türkei waren samt und
sonders von Geflügelzuchtbetrieben ausgelöst worden, die infizierte
Vögel oder Futter eingeführt hatten, glaubt Birdlife International, die
Dachorganisation von Vogelschutzverbänden aus über 100 Ländern. "Die
wahrscheinlichste Erklärung dafür ist, dass Zugvögel gar nichts zur
Ausbreitung der Seuche beitragen", sagt Michael Rands, der Leiter von
Birdlife International. "Wildvögel stecken sich an infiziertem Geflügel
an, nicht umgekehrt."
Rands verweist auf die ausgebliebenen Ausbrüche in Afrika und entlang
der Vogelzugrouten und darauf, dass in diesem Winter bis zum Februar bei
weltweit über 100.000 untersuchten Wildvögeln nur in einer verschwindend
geringen Zahl von Vögeln H5N1 gefunden wurde.
Hühnerkot für Fischfarmen
Für die Einwanderung von infizierten Wasservögeln aus Osteuropa nach
Norddeutschland hat Birdlife eine einfache Erklärung: Fischfarmen in
Russland, China und verschiedenen osteuropäischen Ländern verwenden
nicht sterilisierte Abfallstoffe aus Geflügelfarmen, darunter Hühnerkot,
als Fischfutter, und Landwirte benutzen es als Dünger - eine Praxis, die
die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen
(FAO) als "hoch riskante Produktionsweise" bezeichnet.
Dabei ist längst bekannt, so die Weltgesundheitsorganisation WHO, dass
H5N1 in Geflügelkot bis zu 35 Tage überdauern kann. Birdlife weist auch
darauf hin, dass die meisten Ausbrüche in Südostasien auf den Handel mit
Geflügel und Geflügelprodukten oder auf verunreinigtes Material aus
Großzuchten zurückzuführen sind.
Zu diesem Schluss kommen auch genetische Studien. Im letzten Jahr
gelangte ein Team aus amerikanischen, chinesischen und vietnamesischen
Forschern nach einer Analyse der Abstammung verschiedener Virustypen zu
dem Ergebnis, dass offenbar der Transport von Geflügel für die
Verbreitung des Virus von China aus gesorgt hat. Auch der FAO ist längst
bekannt, dass H5N1 wie jedes andere Virus in Wildvögeln ebenso wie in
frei laufendem Geflügel seine Virulenz verliert - eine Frage der
Anpassung: Wirt und Virus profitieren davon, miteinander länger zu
leben.
Hauptfaktoren bei der Verbreitung von H5N1
Legal und illegal werden pro Jahr Abermillionen von Küken und Bruteiern
exportiert. Allein die größte Fabrik in der Türkei hat eine Kapazität
von mehr als 100 Millionen Bruteiern pro Jahr, die unter anderem nach
Osteuropa und in den Mittleren Osten verkauft werden. Illegal sind es
vermutlich noch viel mehr. Und immer wieder wird auch Geflügelfleisch
aus China illegal gehandelt. In Großbritannien etwa mussten die Behörden
Ende 2005 feststellen, dass vermutlich mehrere Hundert Tonnen
Geflügelfleisch aus China eingeschmuggelt und mit gefälschten Etiketten
versehen im ganzen Land verkauft worden waren.
Der weltweit kaum kontrollierte Handel mit Geflügel und
Geflügelprodukten sowie der sorglose Umgang mit den Massen an Abfall und
Kot aus Geflügelfarmen sind die Hauptfaktoren bei der Verbreitung von
H5N1. Zu diesem Schluss kommt auch die kanadische Organisation Grain,
die sich um die genetische Diversität von Nutzpflanzen und -tieren
kümmert.
Grain schreibt in einem aktuellen Report zur Vogelgrippe, dass
"Regierungen und internationale Behörden, die von falschen Annahmen über
Ausbreitung und Vermehrung der Erkrankung ausgehend, fatalerweise
Maßnahmen ergreifen, die der weiteren Industrialisierung der
Geflügelhaltung auf der ganzen Welt Vorschub leisten". Statt einer
Lösung droht damit aber eine Verschärfung des Problems.
Virenspuren
Vogelrouten können die Ausbreitung von H5N1 nach Nigeria, Ägypten und
Europa nicht erklären.
Genanalysen des Erregers legen nahe, dass Geflügeltransporte die Seuche
aus China heraus verbreitet haben.
Quelle: FTD vom 03.03.2006
http://www.ftd.de/forschung/53222.html
Financial Times Deutschland, 03. März 2006